Entstehung und Organisation des Lagers - Arbeitseinsatz
Mit dem Zweck der historischen Aufarbeitung der Geschichte des Lagers Rollwald ging im Jahr 2000 der Förderverein an seine Arbeit.

Doch einiges wusste man bereits bei seiner Gründung dank der akribischen Vorarbeit von Menschen wie Heinz Sierian über das Lager Rollwald, wenn auch daneben noch viele Vermutungen und Gerüchte "grassierten".
(Der folgender Text aus den Aufzeichnungen von Heinz Sierian entstand bereits einige Jahre vor Gründung des Fördervereins!):


Text

Der nachfolgende Bericht stützt sich auf Dokumente, Briefe und anderes Schriftgut aus den Beständen der folgenden Archive:

Gemeindearchiv Nieder-Roden                     zitiert GA

Hessisches Staatsarchiv Darmstadt             zitiert StADA

Bundesarchiv Koblenz                                zitiert BA

Institut für Zeitgeschichte München            zitiert IZG

sowie auf  weitere Berichte- Quellen und Informationen.

Nach bisheriger Kenntnis existiert noch keine Literatur über das Lager Rollwald 1)sieht man einmal ab von 2 kleineren Publikationen, die 1955  bzw. 1964 erschienen sind.2)

 

Entstehung und Organisation des Lagers, Arbeitseinsatz

Unter dem Titel  „Gefangenenlager Rodgau Dieburg“3) existiert ein 10 Schreibmaschinenseiten langer Rechenschafts­bericht (offenbar verfasst  von der Lagerleitung) nach dem Stande vom 14.5.1942 4). . Diese Darstellung vermittelt - bezogen auf die Verhältnisse vom Mai 1942 - folgende Erkenntnisse:

Unter den Oberbegriff „Gefangenenlager Rodgau Dieburg" sind 3 Einzellager zusammengefasst, nämlich

Stammlager I             das ist Dieburg,

Stammlager II           das ist Nieder-Roden/Rollwald

und Polenlager Eich.

„Im Zuge des nationalsozialistischen Aufbauprogramms ist auch der in Hessen an die Verwirklichung eines großzügigen Meliorations- und Siedlungsprogramms im sogenannten Rodgau her angegangen“  heißt es im Einleitungssatz zu diesem Bericht. Zur Durchführung dieses Programms habe die Reichsjustizverwaltung 3500 Gefangene nebst dem erforderliche Verwaltungsapparat „zu besondern günstigen Bedingungen“ zur Verfügung gestellt.

In mehreren Bauabschnitten sollten u.a. 300 ha Land meliorisiert, Gersprenz, Rodau  und Bieber reguliert, mehrere Erbhöfe ausgelagert und 5000 ha Berieselungsland für die Aufnahme der Abwässer aus Frankfurt und Offenbach hergerichtet werden.

 

Besuch im Lager Wächter im Steingarten

Zur Realisierung dieses Programms wurde als erster Schritt das sogenannte Arbeitshaus, das in Dieburg schon mehrere Jahre leergestanden hatte,  wieder mit Gefängnisgefangenen  belegt. Es entstand so das Rodgaulager I. Danach wurden mit „größtmöglicher Beschleunigung“ die Vorarbeiten für den Bau  des Lagers II eingeleitet.  Anfang  Juni 1938 wurde mit der  Rodung des (wertvollen) Waldgeländes zwischen Ober-Roden und Nieder-Roden, also mit der Abholzung des Rollwaldes  begonnen. Schon Ende 1938 konnte, wie der Bericht ausführt-, dieses - im Eiltempo errichtete - Lager II (Rollwald) mit 1 500 Gefangenen voll belegt werden“.

Mit Kriegsbeginn 1939 und der damit einsetzenden Beschränkung  bei den Treibstoffen verbot es sich von selbst, die Gefangenen noch weiterhin täglich zu den z.T. weit entfernten Einsatzstellen zu fahren. Es wurde dem Lager Rollwald  sogenannte Außenarbeitsstellen (Nebenlager) angegliedert. Das Lager II (Rollwald) hatte 10 solcher Nebenlager, u.a. in Mainz, Lich, Eberstadt und in Wöllstadt/Rheinhessen. Im Zeitpunkt  der Abfassung des Berichtes (Mai 1942) war das Lager Rollwald selbst mit 420 Gefangenen belegt und in den 10 Außenarbeitsstellen/Nebenlagern befanden sich weitere 1030 Gefangenen. Daraus ergibt sich eine dem Lager Rollwald zuzurechnende Gesamtzahl von 1450 Gefangenen.

Angetreten Einrücken ins Lager

Die Aussagen dieses Berichts werden ergänzt durch den Inhalt eines "Eilt-sehr"-Schreibens des Reichsministers der Justiz vom 22.6. 1938 5). Darin heißt es, dass das Gefangenenlager Rodgau (Verwaltung Dieburg) seit April 1938 in Betrieb, mit 500 Gefangenen belegt ist und für die Unterbringung von 3 500  Gefangenen ausgebaut werden soll (was sich auf die Gefangenenlager Rodgau insgesamt bezieht, also auf Dieburg, Rollwald und Eich). Es ist ferner davon die Rede, dass für dort tätige und noch zum Einsatz kommende Vollzugsbeamte eine größere Zahl von Wohngebäuden erstellt werden müsse und dass für diese Arbeiten dringend Strafgefangene benötigt werden, die gelernte und angelernte Bauarbeiter sind. Gleichzeitig werden nach einer dem Schreiben beigefügten Liste von den 24 Oberlandesgerichts-Bezirken 280 solcher Gefangenen für Rodgau angefordert.

An die Angeforderten werden – abgesehen von ihrer beruflichen Eignung – auch noch weitere Voraussetzungen gestellt:

„Für die Überführung in das Gefangenenlager Rodgau kommen nur Gefangene in Frage, die mindestens noch bis 1. November 1938 Strafen zu verbüßen haben. Gefangene, die erheblich fluchtverdächtig sind und politische Gefangene, von denen eine aktive Betätigung im Lager zu befürchten ist, sind auszunehmen. Ich ersuche, Gefängnisgefangene für die Überführung auszuwählen“:6)

Zu dieser Zeit – also in der Phase des Aufbaus der Gefangenenlager – sollten dort  nur Häftlinge mit Gefängnisstrafen  (keine Zuchthausinsassen) aufgenommen werden. Dieser Vorsatz ließ aber vermutlich gar nicht lange durchhalten, denn aus dem zitierten Bericht  der Lagerleitung Dieburg ersehen wir, dass im Frühjahr 1942 fast nur noch Zuchthausgefangene dort inhaftiert waren ( 1 900 Zuchthausgefangenen standen nur noch 267 Gefängnis- bzw. Arbeitshausgefangene gegenüber. 7)

Eine Schicht der Wachmannschaft? Gefangene, Wachpersonal und ein Zivilist

Auch die den Lagern ursprünglich zugewiesenen Arbeitsaufgaben erfuhren eine Änderung. Mit den alljährlich stärker werdenden Belastungen, denen das Deutsche Reich  durch den sich ausweitenden Krieg ausgesetzt war, verlor das landwirtschaftliche Programm  zwar nicht an Bedeutung, offenbar aber unter dem Druck der Zeitverhältnisse an Vorrang. – Die Waffen- und Munitionsfabrikation, Aufräumungsarbeiten in den zerbombten Städten, Kriegsschadensbehebung an den wichtigen Schienverkehrswegen rückten in den Vordergrund. In diesem Sinne sollte nach einem schriftlichen Bericht des Generalstaatsanwaltes Darmstadt vom 20. November 1943 an den Reichsminister der Justiz die Außenstelle des Lagers Rollwald in Wöllstein/Rheinhessen, bei der sich zur Berichtszeit noch „ein Dreschkommando (8 Mann) und zwei Rebenkommandos in Stärke von je 10 Gefangenen“ befanden, eingezogen werden. Dagegen aber verwahrten sich (wohl erfolgreich) das örtlich zuständige Arbeitsamt Worms und das Gauarbeitsamt. 8)

In Pose stellen sich diese Wärter im Steingarten Winter 1941 im Lager Davor hatte aber schon der Statthalter in Hessen – Landesregierung – mit dem Betreff „Teilnehmergemeinschaft Rodgau; hier Einsatz von Strafgefangenen“ zu diesem Thema eine schriftliche Stellungnahme  an den 

Generalstaatsanwalt in Darmstadt abgegeben.9)  

Darin heißt es, dass die Landesregierung als Bevollmächtigte der Teilnehmergemeinschaft Rodgau von sich aus bereits im Frühjahr 1942 „im Hinblick auf die Erfordernisse der Zeit“ alle Maßnahmen im Rodgau bis auf geringe Restarbeiten eingestellt und die zur Verfügung stehenden Strafgefangenen für den Einsatz in der Rüstung , bei der Reichsbahn und dergleichen freigegeben habe, ohne dazu damals aufgefordert gewesen zu sein. Und weiter geht es im Text: „Die Maßnahmen im Rodgau sind unterbrochen und werden nach Kriegsende weitergeführt“. – Lediglich ein kleines ca. 30 Mann starkes Kommando Strafgefangener sollte für den Rodgau bereit gehalten werden, um die neu geschaffenen Anlagen und Einrichtungen  auch erhalten zu können.

Zur Größe und Organisation des Verwaltungsapparates der Rodgau-Gefangenenlager liefert der schon erwähnte Bericht der Lagerleitung10) folgende Angaben:

„An der Spitze der Verwaltung in Dieburg stand ein Ober-Regierungsrat, ihm zur Seite ein Amtmann.
Es werden 3 Lagerleiter aufgezählt, ferner 2 Pfarrer, 1 Arzt und 1 Zahnarzt (Vertragsarzt), 2 Oberlehrer (diese waren für die Unterrichtung  jugendlicher Häftlinge vorgesehen), 27 Sekretäre und Angestellte sowie für den Aufsichtsdienst 318 Beamte/Angestellt/Hilfsaufseher.“

Unter dem Aufsichtspersonal befanden sich auch speziell für den Sanitätsdienst ausgebildete Beamte, die die erkrankten Häftlinge und das Häftlingskrankenrevier versorgten. Zeitweise war auch ein unter Häftlingen befindlicher französischer Arzt für die Behandlung der Häftlingskranken eingesetzt. Bei schweren Erkrankungen erfolgte Einweisung  in das Krankenhaus in Darmstadt. 11)  

Fußnoten:

1          IZG, Schreiben vom 2. Februar 1980

2      „Die-Rollwald-Siedlung“, Verfasser Im, Dieburger Anzeiger 5/6, 1955; „Die Vorgeschichte Rollwald“, Verfasser K. M. (Karl Müller) in der Vereinszeitschrift Schützenclub Gamsbock, Rollwald, Juni 1964

3          Der Titel ist als Plural zu verstehen: Die Gefangenenlager Rodgau umfassen 3 selbständige Lager, von denen eines Rollwald ist.

4          StADA, Abteilung G 21A, Konv. 2400, Fasc. 17

5          BA, Schreiben des Reichministers der Justiz vom 22. Juni 1938 an die Generalstaatsanwälte und den Generalstaatsanwalt Hamm für Strafgefangenen-lager Papenberg (Emsland)

6          BA, siehe Fussnote

7          StADA, siehe Fussnote 4

8          BA, Sign. R 22/1429 – Generalstaatsanwalt Darmstadt an Reichsjustizminister Schreiben vom 20. November 1943

9          BA, wie vor – Statthalter Hessen, Schreiben vom 6. November 1943

10      StADA, wie Fussnote 4

11      Mündliche Auskunft des dem damaligen Wachpersonal angehörenden Herrn Wilhelm Phillip, Juni 1981